Leben

als ob der Kosmos
dich wählte zu bewahren
das zu Bewahrende
Leben
als ob da einer wäre
dem du Rechenschaft schuldest
Leben
als ob es kein als ob gäbe
im Blindflug des Vertrauens




Starke Menschen

sind wie Bäume
die einzeln stehen
mit tiefen Wurzeln
mit einer Krone
die sich weitet
zum schützenden Dach




Raum und Zeit

wer könnt erschließen
den Raum die Zeit
wer könnt ermessen
das Unermessliche
alles bleibt offen
du erkennst den nahen Raum
den eigenen mit den Augen
ertastest Fassbares
fest mit den Händen
dein Vorwärtsgehen
ein Schritt ins Offene
dein Blick ins Weite
in ein dunkel Unermessliches
es auszuleuchten mit Licht

 

Die Sonne der Einsicht

Du hältst es im Kopf nicht aus
nicht die Not in Harare
nicht die Sklavenarbeit
der Kinder in Indien
nicht die sinnlosen Kriege
Elend Folter Hunger
du liest davon
du hörst davon
du fasst es nicht
du lebst nebenan
du hältst es im Kopf nicht aus
es gibt kein Anhalten
im Zug der Zeit
er zieht achtlos hinweg
über die Geschichte
des Menschen
die zu lösen wäre
hielten wir an

unter der Sonne der Einsicht


Weil die Zeit drängt
(für Dorothee Sölle)

Dein Leiden an der Welt
dein Kampf um Gerechtigkeit
dein prophetischer Aufschrei
weil die Zeit drängt
rüttelst du an Grundmauern
beschwörst die Vernunft
sprengst den Stumpfsinn
weil die Zeit drängt
für ein neues Menschenbild
für eine andere Geschichte
für eine neue Sprache
für eine begehbare Zukunft
weil die Zeit drängt
setzt du
auf die Liebe zu Gott
die Widerstand heißt



Gebet

Alles verliert sich
tauchst du unter
im Gebet
Alle Schwere hebt sich auf
du selbst verlierst dich
hebst dich auf
tauchst unter  tauchst auf
traumwandelnd wach
auf neuen Wegen


Der fremde Gott

der große Unbekannte
der ganz Andere
der Unfassbare
          der ganz nahe Gott
           der befreiende
           fassbar im Menschen




Position beziehen

Gut zu wissen
wo du stehst
wohin du gehst
wo deine Wurzeln

um Undeutliches
deutlicher zu sehen
um eindeutig zu werden

um Position zu beziehen




Zeichen setzen

Mit Ulla:
Herz über Kopf
Mit Ingeborg:
die Zeit stunden
Mit Luise :
im Dunkel singen
Mit Christa:
Sich erinnern
Mit Hilde:
Eine Rose als Stütze
Mit Marie-Luise:
Nicht so sicher sein
Mit Else:
Hell schlafen dunkel wachen
Mit Dorothee:
Fliegen lernen
Mit Nelly
:
Ausgeliefert sein
Mit Rose:
Sich bekennen zur Poesie

hellhörig werden
Mit wachen Frauen
Worte finden
Zeichen setzen




 Heine-Reminiszenz

Besessen
von der Suche
nach Freiheit
besessen
Geschichte zu schreiben
mit Bildern
einer besseren Welt
besessen
sich selbst auszuhalten
Schlafende wachzutrommeln
die Tugend der Jugend
fortzutragen ins Alter

 

 

Wo sind sie

Wer kennt die Namen
der Gerechten unserer Tage
um derentwillen die Welt
weiterbesteht
wo sind sie diewenigen
die aufrecht gehen
die gerade stehen
für das Gelingen
einer Zukunft
in Gerechtigkeit

 

 Pablo Neruda

Deine Gesänge
sind wie die Gesänge
Davids und Salomos
Du trittst der Menge entgegen
dem Leben zu
es ist Zeit
mit den Sängern zu singen
Gesänge des Lebens
horizontweit zu zünden
ein Feuer


Gegen Gewalt

Wenn wir nicht aufstehen
eine Wand zu bilden
gegen Gewalt
wird kein Schutzwall
mehr sein für den Menschen

 

Aufbruch

bewegt vom Traum
einer anderen Welt
getragen vom Mut
eines David vor Goliath

 

 

Kopfgebirge

steil die Habermas-Felsen
erhaben die Heidegger-Hänge
schneebedeckt Ardornos Höhen
gefährlich die Sloterdijk-Klippen
kalt die Foucault-Gletscher

vor dem Kopfgebirge
im Tal auf leisen Sohlen
die Hoffnung die untrügliche
Visionen die über die Gletscher tragen

 

 Ernst Meister
Tagung 1997

"Es war Mai"

zu Himmelfahrt
himmelleiterhoch ein Sehnen:

"Ich steh
zwischen Luft,
den Atem sinnend

indes, mir übers Haupt
der Raum sich hebt
mit unzähligen Himmeln"

Zu Himmelfahrt
himmelleiterhoch ein Sehnen:
zu tragen ins Grün
des vergänglichen Raums
den Atem des Himmels

 

Abend der Begegnung
Mit Annemarie Schimmel

Stunden
im Handschlag
zweier Kulturen

ein Mal nur
klarer schauen
mit geschlossenen Augen:

Zerreißproben auszuhalten
Versöhnungszeichen
zu erkennen

unter bleiernem Himmel
aufzugreifen
zerbrechliche Blüten der Hoffnung





Eine Taube

 hoch auf der Erinnerungsmauer
im hüpfenden Hin und Her
wie sie sich wendet sich dreht
kein Ölblatt in Sicht
in die Steinplatten eingraviert
die Namen der Toten

 am Fuße der Mauer 
der Zug der Trauernden
der nie endende
auf der Suche nach Zeichen
von Auferstehung




 Nietzsches Hammer

ein Schlag
ins Zentrum des Denkens
seit Menschengedenken

zu erschlagen
die Grammatik
des schlagfest Gültigen

einzuhämmern
ein neues Vokabular
gegen den Irrtum

abzuklopfen
die Worte
auf ihren Wert

sprachvergessen
zu erklimmen Höhen
dionysischen Neubeginnns

     

So ist der Mensch

und nicht anders
so ist die Welt
und nicht anders
so bist du selbst
und nicht anders
so und nicht anders
brüchig und bunt 
verwundbar verwandelbar
unter wechselndem Wind

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Turm zu Babel

(Pendant zu Nelly Sachs:)
"Lasst nicht locker! Ihr müsst
den Turm bauen,
immer größer, immer höher,
immer schöner..seid ihr die
Herren der Welt - oder nicht?.....")

Lasst nicht locker
baut den Turm ab
den Turm zu Babel
Stein um Stein
immer mutiger
seid Diener der Erde

horcht hinein
in die Geheimnisse der Natur
haltet die Erde im Gleichgewicht
und spielt nicht mit ihr
nach euerm Belieben
eure Angst wird vergehen

lasst nicht locker
übertrefft euch nicht
in der Eroberung des Universums
mit allen Mitteln
übertrefft euch selbst
in der Achtsamkeit für die Welt
des Menschen Lebensraum
ist nicht das Universum

lasst nicht locker
ihr müsst den Turm abbauen
koste es was es wolle
versöhnt euch untereinander
setzt den friedlichen Dialog fort
gegen alle Kriege

lasst nicht locker
ihr müsst den Turm abbauen
zeigt euch solidarisch mit
allen Lebewesen auf der Erde
begreift euch als Diener
und nicht als Herren der Welt



 
Blick in die Zukunft

Es wird sein wie immer
es kommt ein Tag
es kommt eine Nacht
die Sonne wird die Welt umarmen
der Mond wird sie
umlächeln von weit
S
terne blitzen auf
in glücklichen Augen
Sorgen türmen sich zuhauf
Menschen werden stürzen
und wieder aufstehen
sie werden tanzen werden lachen
in Liebe fallen und in Leid
sie werden singen und weinen
in tausend Nächten träumen
vom Glück  von guten Geistern
die hilfreich ihre Hand reichen
zum Lauf ins Gelingen




Was heißt stimmig sein

in einer unstimmigen Zeit
wem gelingt es
rund zu sein
den Horizont einzubetten
tief in sein Wesen
auszuhalten
die wetterwendische Welt
frei zu werden
von Fesseln  die schnüren
dazustehen
stimmig im Raum








Tropfenweise

den Lebensbecher füllen
mit der Weisheit der Weisen
Tropfen um Tropfen auffangen
eh sie verdampfen
in der Hitze der Tage
Tropfen um Tropfen einsammeln
eh sie verloren gehen
im Treibsand der Zeit
tropfenweise festhalten
was dir Boden gibt unter den Füßen





Gedanken zu "Stolpersteinen"

Erinnerungsgang durch die Stadt
(Gedenken an die jüdischen Mitbürger)

Und plötzlich
wird dir die Stadt vertraut
wo die Toten auferstehen
in der Erinnerung
wo sie ihren Geschäften
im Alltag nachgehen
wo sie sich begegnen
in Versammlungen
wo sie ihre Fenster
öffnen und schließen
wo sie sich zuwinken
quer über die Straße
auf der du heute stehst
ihnen zurückzuwinken
in tiefer Betroffenheit




Stolpersteine in Northeim

wie umgehen
mit den Stolpersteinen
vor deinen Füßen
mit Erinnerung und Anstoß
rund um den Tag
wie umgehen
mit Trauer und Lähmung
der unaufhebbaren
den Sprung wagen
den Weitsprung
über dich hinaus
in ein Gedenken
das die Verschollenen
zurückholt ins Leben*





Schicksale

immer neu
tropfen Tränen
der Trauer vom Himmel
immer neu
stößt  du auf Spuren
spurlos Verschwundener
immer neu
schlagen Schicksale
an die Tür des Vergessens
wachzurütteln
das Gewissen der Welt

 

 

Du selbst sein

in hellen Augenblicken
in den dunklen
Abgründe aushalten
in der Schwebe schauen
nach Licht
dich zu lösen aus Lähmung




Sie tragen noch heute

die alten Bilder
und Geschichten der Menschheit
sie tragen noch heute
neu erzählt:
das Chaos von Babel
Kain und Abel
die große Flut
das Hoffnungsblatt
im Schnabel der Taube
Hiobs Durchbruch zum Leben
das Wunder von Bethlehem
hinter dem Argwohn der Welt
sie tragen noch heute
die großen Bilder des Lebens
sie wirken weiter
im Bewusstsein der Welt




Das verwundete Gedächtnis

der unterdrückten Menschen
der ausgeplünderten Völker
das verwundete Gedächtnis
es schläft nicht
es reibt sich die Augen
es ist hellwach geworden
es schlägt gegen die Tür
unserer Tage
es rammt die Pfosten der Zeit
das verwundete Gedächtnis
es ist wach geworden
wacher denn je
zum Widerstand gegen
die Wilderer der Welt

 

Worauf lebst du zu

in deiner Fahrt durch die Tage
durch Monde und Jahre
im Stillstand im Aufbruch
im Wachen im Träumen
worauf lebst du zu
wohin treiben dich Stürme
im Flug durch die Zeit
wohin ziehen dich Wolken
im Werden
und Wachsen
auf den Wegen weiter
zur Vollendung von Leben


Was zu bewahren  ist

ist nichts als ein Lächeln
ein weises
über den Lauf der Dinge
ein Lächeln
das in Kraft verwandelt
das Chaos der Welt




 Rose Ausländer

Unterwegs stieß ich
auf deine Worte
blieb verzaubert stehen
blieb hängen an deinen Lippen
blieb wortbewegt
 
 


Stimmiges

Wer Stimmiges sucht
muss stimmig sein
ausfindig zu machen
das Stimmige





Die 68er-Träumer

Sie wollten alles
den neuen Menschen
den wachen den revolutionären
sie wollten alles
sie erträumten
ein neues Weltbild
ein neues Menschenbild
sie suchten Utopisches
die paradiesische Freiheit
sie fielen zurück auf die Erde



Käthe Kollwitz

angetreten
das Unfassbare fassbar zu machen
Unaussprechliches auszusprechen
in Bilder zu bringen  das Weh der Welt
Leben zu deuten im Schatten des Todes
Heiles herauszulösen aus Zerbrochenem
ein Feuer zu zünden gegen das Vergessen

 


Bonhoeffer

die Welt erneuern
aus dem Unmöglichen
aus  einer Kraft
die Wunder wirkt:
unter dem Segen des Himmels



Meister Eckhardt

ein Meister der Aufhellung
Stichflamme der Aufklärung
Denker und Träumer
Flamme und Glut




Das Vaterunser

Gedanken nach Meister Eckhart:
„Sein Wille und mein Wille
werde ein einziger Wille“






Else Lasker-Schüler

Du konntest
deinen Schmerz
an den Himmel binden
in blauen Lüften
ein Theben bauen
aus Türmen und Träumen
dich zu beheimaten
in der Welten
Heimatlosigkeit

Du konntest
Hieroglyphen setzen
an den Saum der Wolken
Engel beschwören
mit deinem Lied
aus Noten gewachsen in Not
ein Liebeslied
dem bedrohten Gott
daß er erblühe
in der Seele der Völker




Für Helmut Gollwitzer

Einmal ins Rollen gebracht
dreht sich das Rad
der Geschichte
nach stummen Gesetzen
nur manchmal greift mutig
ein wacher Geist
mitten in die Speichen hinein
die Richtung des Rades zu ändern
wieviel Mutige
zählt die Geschichte
und wann macht der Geist
der Mutige beseelt
gültig Geschichte




Z
wiesprache mit Bonhoeffer

La maison du spectacle
trägt deinen Namen
verwischt deine Spur
im Sand der Zeit
unter Lärm und Lichteffekt
verloren die Kraft der Stille
aus der deine Revolution erwuchs
 
 
 

 

 

 




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